Kurt Hischfeld und das Schauspielhaus Zürich,1933 – 1964
1933 – Das Schauspielhaus als „Emigrantentheater“
Kurt Hirschfeld wurde am 10. März 1902 in Lehrte bei Hannover geboren. Nach dem Studium der Philosophie, Soziologie, Germanistik und Kunstgeschichte begann er 1930 seine Karriere als Dramaturg am Hessischen Landestheater Darmstadt.
1933 floh Kurt Hirschfeld in die Schweiz. Dort fand er eine Anstellung als Dramaturg am Schauspielhaus Zürich. Ferdinand Rieser, der seit Mitte der zwanziger Jahre Leiter und Besitzer des Schauspielhauses war, engagierte in seinem Theater viele Schauspieler und Schauspielerinnen, die gezwungen gewesen waren vor den Nationalsozialisten zu fliehen. Im Spielplan des Schauspielhauses spiegelte sich die Situation in Deutschland wider und politisch aussagekräftige Werke verdrängten von 1933 – 1938 langsam das Boulevardstück. [1] Dies mag Hirschfeld und anderen Dramaturgen dieser Zeit zu verdanken sein, die den „Spielplan über das Ensemble“ stülpten. Ferdinand Rieser galt zwar nicht als Direktor mit künstlerischen Fähigkeiten und politischer Überzeugung, aber er hatte den Mut, Stücke, zu zeigen, die die Vorgänge im Dritten Reich offen legten (Z. B. Die Rassen von Ferdinand Bruckner oder Friedrich Wolfs Professor Mannheim). [2]
Nach Kriegsende eilte dem Schauspielhaus der Ruf nach, mit seinem antifaschistischen Programm Widerstand gegen das Dritte Reich geleistet zu haben. Die Zürcher Pfauenbühne war die einzige freie deutschsprachige Sprechbühne und kämpfte so für die Erhaltung einer deutschsprachigen Kultur jenseits des völkisch-nationalen Kulturverständnisses der Nationalsozialisten. Ursula Amrein zeigt in ihrer Arbeit Kulturpolitik und Geistige Landesverteidigung – das Zürcher Schauspielhaus [3], dass dies zwar für das Schauspielhaus und sein Ensemble zutrifft, jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung mehr als umstritten war. Die politische Stellungnahme des Schauspielhauses war nicht willkommen. Eduard Korrodi forderte von den Emigranten „politische Zurückhaltung“. Die Darstellung des spezifisch-deutschen Konfliktstoffs der Judenfrage in „Professor Mannheim“ sei eine „leidenschaftliche Aufforderung zur Parteinahme“ und „von aussen herangetragener Konfliktstoff“. [4]
Der Antisemitismus wurde als „importiertes Problem“ bezeichnet, was von politischer Verantwortung entlastete und die Opfer der Rassenpolitik als Unruhestifter darstellte. Gleichzeitig befürchtete man eine Schwächung der Schweizer Literatur durch den Einfluss deutscher Literaten, die während der nationalsozialistischen Herrschaft in der Schweiz zuflucht fanden. Auch Kurt Hirschfeld bekam die Auswirkungen dieser Abwehrhaltung zu spüren. 1934 erhielt er die Kündigung.
Wichtige Repräsentanten der schweizerischen Bildungselite hatten sich derweil um Anerkennung im Dritten Reich bemüht. So etwa der Schweizerische Schriftstellerverein, der sich aus eigener Initiative bereits 1933 kollektiv in die Reichsschrifttumskammer aufnehmen ließ, dies unter Deklarierung der Namen jüdischer Mitglieder. [5]
Der Schweizer Schriftstellerverein und die Neue Helvetische Gesellschaft formulierten in Zusammenarbeit mit Bundesrat Philipp Etter ein kulturpolitisches Programm, das 1938 zur Gründung der Kulturstiftung Pro Helvetia führte. Die Geistige Landesverteidigung ging so weit, dass die Autoren sich als „Soldaten“ definierten, die die „schweizerische Seele gegen Fremde Beeinflussung“ verteidigen würden. [6] Die „Geistige Landesverteidigung“, also der kulturelle Widerstand gegen das „Dritte Reich,“ um welchen sich die Schweiz mit ihrer Kulturpolitik bemühte, richtete sich nun also auch gegen seine Opfer und nahm damit völkisch-nationale Elemente auf, die er eigentlich zu bekämpfen dachte.
1938 – Die Gründung der Neuen Schauspielhaus AG
Vor diesem Hintergrund gab Ferdinand Rieser 1938 das Theater auf und bot es zum Verkauf an. Damit stand für die Emigranten ihre Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung auf dem Spiel. Die Diskussion um die Weiterführung des Theaters forderte von einer Seite die Wandlung vom „Emigranten“- zum „Schweizer“ Theater. [7]
Auf die Initiative des Verlegers Emil Oprecht gründete sich mit dem Kapital liberaler Bürger die Neue Schauspielhaus AG, deren Anliegen es war, das Emigrantenensemble für Zürich zu erhalten. Neben künstlerischen Gründen war die antifaschistische Solidarität der zentrale Beweggrund. [8] Das Ensemble wurde so gerettet und blieb dem Schauspielhaus als Konstante erhalten.
Die Übernahme des Schauspielhauses durch die Neue Schauspielhaus AG änderte sowohl die Betriebsstruktur des Theaters als auch die Aufführungspraxis. Darüber hinaus gab es einen Wechsel in der Direktion: Oskar Wälterlin wurde der neue Direktor des Schauspielhauses.Wälterlin wurde bewusst als „schweizerischer“ Direktor eingesetzt. Unter ihm gelang es dem Schauspielhaus, die Interessen der Emigranten mit der schweizerischen Kulturpolitik zu vereinbaren.
Das Schauspielhaus verstand sich nach 1938 als Ort des Widerstands und als Ort der Bewahrung deutscher Kultur.[9] Für die Erhaltung einer deutschsprachigen Kultur war die Pfauenbühne von großer Bedeutung, da im zeitgenössischen Diskurs „deutsch“ oft mit „völkisch“ gleichgesetzt wurde, eine Idee, gegen welche sich die Neue Schauspielhaus AG und die Repräsentanten der deutschen Literatur im Exil wehrten.
Kurt Hirschfeld informiert uns in seiner „Dramaturgische Bilanz“ über die inhaltliche Ausrichtung des Schauspielhauses in der Ära Wälterlin: „Zunächst spielten wir wenige Klassiker, einige Dichtungen und die ersten antifaschistischen Stücke. Aber das Ansetzen dieser Vorstellungen war ohne System und mehr oder weniger auf Zufall angewiesen. Mit der Übernahme des Schauspielhauses durch die neue Schauspielhaus AG und Dr. Oskar Wälterlin begann langsam und vorsichtig eine neue Epoche, in der ein Spielplan vorbereitet wurde, von dem zu sprechen sein wird.“ [10]
1945 – Ein Neuanfang: Der Aufstieg Max Frischs und Friedrich Dürrenmatts
Nach 1945 änderte sich für das Schauspielhaus neben der Zusammensetzung des Ensembles besonders eins: Der kulturpolitische Rahmen. Standen die Jahre 1938-1945 im Zeichen des Widerstandes gegen den Faschismus, so musste nach 1945 darüber nachgedacht werden, was weiter geschehen soll.
Anhand der Karrieren von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die ohne das Schauspielhaus nicht denkbar gewesen wären, lässt sich beschreiben, mit welcher Ästhetik das Schweizer Theater diesem Sonderfall nach 1945 gerecht zu werden versuchte.
Beide Autoren arbeiten mit der Ästhetik der Distanz. Dürrenmatt bedient sich der Methode der „Erfindung“ und der Groteske, die ihm ein „Bildhaftmachen“ ermöglicht, die „Zeitfragen, mehr noch die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder Reportage zu sein“. Bei Frisch steht klar die räumliche Distanz im Zentrum.
Für die Karrieren von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die die deutschsprachige Nachkriegsliteratur massgeblich prägten, war das Schauspielhaus und der Einsatz von Kurt Hirschfeld enorm wichtig. Als Höhepunkt der beiden Karrieren kann die Spielzeit 1961/62 bezeichnet werden mit den zeitlich nahe zusammenliegenden Uraufführungen von Frischs Andorra und Dürrenmatts Die Physiker. Es war Gleichzeitig auch die erste Spielzeit, in welcher Kurt Hirschfeld in der Funktion des Direktors wirkte. Nach Wälterlins Weggang ans Stadttheater Basel wurde Hirschfeld vom Verwaltungsrat des Schauspielhauses zu dessen Nachfolger gewählt. 1964 starb Hirschfeld.
[1] Hirschfeld, Kurt, Dramaturgische Bilanz, in: Theater. Meinungen und Erfahrungen.
Über die Grenzen Schriftenreihe. Aehren Verlag, Affoltern a. A., 1945, S. 11.
[2] Amrein 2007, S. 157.
[3] Amrein, Ursula, Kulturpolitik und Geistige Landesverteidigung, in: Weigel Sigrid und Erdle, Birgit, Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus, Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, Zürich 1996.
[4] NZZ vom 19.11.1934, zitiert nach Amrein 1996.
[5] Amrein, Ursula, Im Visier der Nationalsozialisten. Einflussversuche des Auswärtigen Amtes auf die Schweizer Kulturpolitik während des „Dritten Reiches“, in: Blätter der Thomas Mann Gesellschaft, Nr.34, Zürich 2012.
[6] Amrein, 1996, S. 283.
[7] Amrein 2007, S. 18.
[8] Löffler 1995, S. 8.
[9] Amrein 1996, S. 302 f.
[10] Hirschfeld, Kurt, Dramaturgische Bilanz, in: Theater. Meinungen und Erfahrungen.
Über die Grenzen Schriftenreihe. Aehren Verlag, Affoltern a. A., 1945, S. 11.