Jacques Picard, Prof. Dr. phil., ist Ordinarius für Jüdische Geschichte und Kulturen der Moderne sowie Branco-Weiss-Professor für Kulturanthropologie an der Universität Basel.
Bleiben, rückkehren, erinnern? Kurt Hirschfeld im Zürcher Exil während der Nachkriegszeit
Für Kurt Hirschfeld scheint es auf den ersten Blick nie eine Frage gewesen zu sein, nicht in der Schweiz bleiben zu wollen als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und viele seiner kulturell aktiven Zeitgenossen, die einst in der Schweiz als Ort des „Exils“ Zuflucht gefunden hatten, nach Deutschland zurückkehrten oder in weitere Länder migrierten. Die Quellen zeigen ihn jedoch ambivalent gegenüber Angeboten aus seiner früheren Heimat, die ihn vertrieben hatte, und seine Schwester in New York oder Freunde in Berlin warnten ihn vor einem als weiterhin zutiefst antisemitisch eingeschätzten Deutschland. Dass er einer der Verhandlungen des Frankfurter ‚Auschwitz‘-Prozess beiwohnte, sich um sogenannte Wiedergutmachungsgelder sorgte oder das Grab seiner Eltern gepflegt wissen wollte, zeigt Hirschfeld als Person, die erinnerungsbewusst blieb – dies in einer Zeit, als in der Schweiz wie andernorts in der Welt mehrheitlich das friedenspolitische Paradigma des wohltuenden Vergessens und Schweigens über den Krieg und das Leiden der Verfolgung und Vernichtung bevorzugt wurde. Dabei wurde Hirschfeld, der auf eine Einbürgerung verzichtete und damit gleichsam den Status eines „Exilanten“ in der Nachkriegszeit wahrte, in diesen Jahren eine wachsende Anerkennung seiner Tätigkeit seitens in- und ausländischer Freunde und Persönlichkeiten zuteil, die teilweise bis heute fortlebt. Solcherart nahm die Person Hirschfeld auch eine sich wandelnde Funktion als öffentlicher Rollenträger zwischen Vergessen, Verdrängen und Erinnern ein. Wie weit diese Kategorien sich für die Beschreibung von K Hirschfeld in der Nachkriegszeit eignen oder auch nicht, soll Teil der gegenwärtigen Reflexion sein.